Schon wieder ‚Schland‘

Warum fiebern Menschen so sehr mit der deutschen

Fussballnationalmannschaft mit?

Seit einigen Jahren ist es üblich, dass im Zusammenhang mit Fußballgroßereignissen viele Deutsche auf Public Viewings und Fanmeilen, in ein Schwarz-Rot-Goldenes Fahnenmeer getränkt, gemeinsam Fußball schauen und hoffen, dass „Wir“ gewinnen. Auch das private Umfeld wird mit den deutschen Nationalfahnen nach außen sichtbar geschmückt und die Autos mit Wimpeln verziert („Es ist EM/WM, da macht man das halt so.“). Auf die Frage, woher diese Begeisterung für den Fußball bei internationalen Turnieren komme, werden oft Aussagen wie folgende getroffen: „Man ist Deutscher und da ist man stolz auf sein Land.“ Schnell wird klar, es geht hier oft gar nicht oder nur nachrangig um Fußball. Es geht um die Nation.

Dem Fußball kommt hierbei eine Schlüsselrolle im deutschen Nationalismus zu. Das hängt mit mehreren Faktoren zusammen. Erstens wird Fußball als „Volkssport“ begriffen, also als etwas, das dem kulturellen Code der Deutschen eigen ist. Zweitens waren die deutschen Fußballnationalmannschaften in der Vergangenheit einigermaßen erfolgreich, es kann sich also damit positiv assoziiert werden. Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg wurde das „Wunder von Bern“ als Erlösung von der Schmach der Niederlage wahrgenommen. „Endlich sind wir wieder wer“ wurde seitdem zur gängigen Formel, wenn Erfolge im internationalen Fußball erzielt wurden. Drittens ist es unverfänglich, den Nationalismus, der in Deutschland seit dem Ende des Nationalsozialismus in Verruf geraten ist, unter dem Vorwand „Es ist doch nur Fußball“ auszuleben.

Oft kommt es zur Forderung den unverkrampften Nationalismus, welcher zu jedem Einzelnen dazugehöre, einfach mal auszuleben. Um das Argument zu verstärken, werden Beispiele wie die USA herangezogen, wo Patriotismus ganz selbstverständlich dazugehöre.1 Die Nation wird als naturwüchsig, also als Teil der menschlichen Natur begriffen.

Aufgrund der Tatsache, dass Nationalismus erst im 18./19. Jahrhundert aufgekommen ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Entstehung von Nationalismus nichts mit der DNA des Menschen, sondern mit der Beschaffenheit der Gesellschaft zu tun hat in der er ausgelebt wird.

Es ist Tatsache, dass in der Krise des Kapitalismus bürgerliche Ideologien anscheinend nicht nur gestellt, sondern desto aggressiver propagiert werden, je unsicherer die Situation des materiellen Wohlstands aller ist. So spitzen sich in Zeiten der (aktuellen) Krise die Forderung nach nationaler Scholle und gegen Migration zu. Anti-Euro-Bewegung, Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit finden eine ansteigende gesellschaftliche Resonanz.

Um diesem Trend entgegenzuwirken, entschieden wir uns für das Verfassen dieser Broschüre.

Attends de voir!

Über Nation und Mythos

1 Wir sind uns darüber im Klaren, dass oft versucht wird, einen vermeintlich positiven Patriotismus vom Nationalismus abzugrenzen. Jedoch handelt es sich bei den beiden Worten um das gleiche Phänomen. Nationalismus ist in Deutschland in Verruf geraten, deshalb wird er durch das vermeintlich harmlose Wort des Patriotismus ersetzt. Gemeint ist aber mit beiden Worten die chauvinistische Bezugnahme auf die gesellschaftliche Konstruktion der Nation. Wir verwenden im deutschen Kontext Nationalismus um ein präzisen Begriff des Gemeinten zu haben. US-Patriotismus ist konzeptionell etwas anderes. Dies wird in dieser Broschüre jedoch nicht behandelt.