Nationale Politik und Wirtschaft

2005. Als Joseph Alouises Ratzinger im April zum Papst gewählt wurde, titelte die meistverkaufte deutsche Zeitung: „Wir sind Papst!“ Als 2009 China Deutschland als Exportweltmeister ablöste, trauerte das Volk. Dass die Deutschen auch beim Wirtschaften eine starke „Heimatverbundenheit“ zeigen, erläutert zum Beispiel der Spiegelartikel „Man kauft deutsch“. Aber wieso ist der_die durchschnittliche Staatsbürger_in der BRD so stolz auf Kühlschrank und Bio-Kartoffel aus der Bundesrepublik und welche Rolle spielt der Staat dabei? Wieso muss in einem global kapitalistischen System jeder Staat bemüht sein, die eigene „Wettbewerbsfähigkeit“ zu erhalten und diese in Relation zu anderen Staaten bzw. Binnenmärkten stetig zu steigern?

Was ist Standortkonkurrenz?

Standort- oder auch Wettbewerbskonkurrenz definiert die Rivalität einzelner Regionen, Staaten oder auch Staatenverbünde. Dies soll dem Zweck dienen, ein höheres Wirtschaftswachstum zu erzielen und damit auch einen höheren, materiellen Wohlstand. Die Standorttauglichkeit wird dabei an den sogenannten Standortfaktoren gemessen. Dies sind die maßgeblichen Entscheidungsinstrumente für die Wahl des Standortes von Unternehmen. In der Studie „Das interregionale Standortwahlverhalten der Industrie“ wurden die wichtigsten Standortfaktoren für deutsche Unternehmen zusammengefasst. Dazu zählen beispielsweise Steuern, Arbeitskräftepotential, Infrastruktur, öffentliche Finanzierungshilfen und einiges mehr. Unterteilt werden können diese Faktoren in weiche und harte Standortfaktoren. Harte Standortfaktoren sind quantifizierbar und können direkt in die Markt- und Standortanalyse mit einbezogen werden, wie zum Beispiel Steuern und Infrastruktur. Weiche Standortfaktoren hingegen sind nicht objektiv messbar. Dazu zählen Bildungs- und Kulturangebote, welche für das Anwerben von hochqualifizierten Mitarbeiter_innen von Bedeutung sein können. Ausschlaggebend sind im Regelfall die harten Standortfaktoren.

Ein bekanntes Beispiel dieses Prozesses waren die „Reagonomics“. Als Reagonomics wird die Wirtschaftspolitik in den USA unter der Präsidentschaft von Ronald Reagon in den 80er Jahren beschrieben. In dieser Zeit wurden die Unternehmenssteuern, die Steuern auf Veräußerungsgewinne, sowie der Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer in den USA von 70% auf 33% gesenkt.

Welche Rolle spielt Standortkonkurrenz in unserem Leben und welchen Stellenwert hat sie in der Politik?

Der Konkurrenzkampf der wirtschaftlichen Akteure um den Faktor „Standort“ entwickelt sich zunehmend zum primären Leitmotiv des politischen Handelns auf globaler, nationaler und auch regionaler Ebene. Wenn sich zum Beispiel eine Partei in Deutschland gegen den Mindestlohn ausspricht, dann wird dies höchst wahrscheinlich damit zusammenhängen, dass sie befürchtet, der Standort Deutschland könne an Attraktivität verlieren.

Für Staaten, die Handlungssubjekte im globalen Kapitalismus sind, ist es außerordentlich wichtig, an der eigenen Standortattraktivität zu arbeiten. Hinter diesem Handeln verbirgt sich die Logik, dass Unternehmen Arbeitsplätze schaffen, welche mit einer Entlohnung verbunden sind. Zusätzlich zahlen die Unternehmen Steuern an den Staat, dies soll eine Nation zu höherem Wohlstand führen. Damit Unternehmen im internationalen Vergleich dominieren können, sind sie gezwungen neue Produkte zu entwickeln und an kostensparenderen Produktionsweisen zu arbeiten – sie benötigen Innovationen. So kritisierte Grünen-Politiker Jürgen Trittin die deutsche Automobilindustrie: „Die gesamte deutsche Automobilindustrie ist, wenn es um die Umstellung auf Hybridfahrzeuge geht, von asiatischem Know-How abhängig. Das müssen wir durchbrechen.“ Aus dieser Aussage lässt sich schließen, dass die Innovationsfähigkeit in Deutschland gesteigert werden soll. Das hat wiederum zum Ziel, die Investitionsbereitschaft in die neu errungene Technik zu erhöhen, um einen wirtschaftlichen Aufschwung hervorzurufen.

Dieses Beispiel verdeutlicht einmal mehr, dass es nicht um die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen geht, wie in diesem Fall der Ökobilanz, sondern dass das gewonnene Wissen einer Nation und seiner Wirtschaft als exklusives Monopol zusteht und von dieser auch verwertet wird. Dadurch transformiert Wissen von einem Geschäftsmittel zu einem Konkurrenzmittel, welches lediglich dem Zweck dient, den Akkumulationsprozess voranzutreiben, um zu einem Aushängeschild einer Nation zu werden. Mittels dieser erzielten Leistungen einer Nationalwirtschaft werden Einnahmen erzielt, die wiederum neuen Investitionen dienen. Um einen größtmöglichen Absatz zu erzielen, wird das Potenzial vergrößert und werden die Güter aus einem beispielsweise nationalen Markt global angeboten und vertrieben. Dadurch fließt Kapital aus einem anderen Markt in den Heimatmarkt. Wenn nun mehr Güter aus einem Land exportiert werden, als dieses importiert, entsteht ein finanzielles Ungleichgewicht. Deutschland beispielsweise trug lange Zeit den Titel „Exportweltmeister“ und hat sich auch selbst gerne als solcher glorifiziert. Auch schon bevor 1986 das erste Mal der Titel erworben wurde, hat Deutschland, von 1952 bis heute, jedes Jahr einen Exportüberschuss erzielt. Das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“, aus dem deutschen Grundgesetz, soll lediglich suggerieren, dass eine Art Ethik und Grundsätze in der Wirtschaft existieren. Als Beispiel für einen Exportüberschuss lässt sich anführen, dass Deutschland im Jahr 2012 39,7 Mrd. Euro mehr Güter nach Frankreich exportiert hat, als von dort importiert wurden. Durch diesen starken Export schafft sich Deutschland eine Abhängigkeit gegenüber den Import-Nationen weltweit und gewinnt somit, durch den starken Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Politik, unter anderem auch an politischem Einfluss.

Jedoch handelt es sich bei dem Wachstum, welches von Staaten grenzenlos in die Höhe getrieben wird, um einen unbegrenzten Steigerungswettkampf. Die ursprünglichen Zusammenhänge von Produktion und Bedürfnisbefriedigung modifizieren zu der Kapitalverwertungslogik. Das bedeutet, dass anstatt der Produktion zur Bedürfnisbefriedigung, ausschließlich eine Produktion des Produzierens wegen stattfindet. Diese Steigerungsdynamik setzt das Marktgleichgewicht, in der das Angebot die Nachfrage deckt, außer Kraft. Sie lässt die Steigerung von Produktivität und das ihr immanente Streben nach Innovationsvorsprüngen und Zeiteffizienz zu unausweichlichen Systemimperativen eines von der Nachfrage unabhängigen Angebots werden, welches die entsprechenden Bedürfnisse gleich mit erzeugt.

Anstatt diesen Zuwachs an Produktivität zu nutzen, der vor allem durch zunehmenden technischen Fortschritt und Maschinisierung erzeugt wird und die Menschen zu entlasten, werden solche Leute in diesem System – ob sie wollen oder nicht – in fragwürdige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gezwungen. Falls dieser nicht nachgegangen wird, folgt die Kürzung bis unter das Existenzminimum. Schließlich muss jenes Leistungsprinzip bewahrt bleiben, das besagt, dass jede_r für das eigene Brot arbeiten muss. In einer noch schärferen Form findet dieses Prinzip Anwendung bei Forderungen von Parteien aus dem rechtspopulistischen Spektrum. Die Partei „Alternative für Deutschland (AfD)“ fordert unter anderem restriktive Regeln bezüglich der Einwanderung nach Deutschland. Nach der AfD erhalten nur noch diejenigen das Einwanderungsrecht, welche ausreichende Qualifikationen und eine ebenso große Integrationsbereitschaft mit sich bringen – folglich für das System als außerordentlich verwertbar gelten. Von Verfechtern dieses Prinzips werden solche Forderungen sogar noch weiter instrumentalisiert. Durch diese Limitierung und die Reduzierung des Individuums auf den wirtschaftlichen Nutzen und die eigene Verwertbarkeit, sollen Leistungsanreize für potentielle Einwanderer, die einen höheren Wohlstand im Migrationsland erwirtschaften können, geschaffen werden. Da damit gerechnet wird, dass durch diese Anreize ein höheres Humankapital, also personengebundene Wissensbestandteile einer Volkswirtschaft, geschaffen wird, als tatsächlich auswandert, soll ein sogenannter Braindrain, die Abwanderung von Fähigkeiten einer Volkswirtschaft, verhindert werden. Der tatsächliche Vorteil liegt nicht in der Förderung von anderen Staaten, sondern in der Entstehung einer Konvergenz der Reallöhne, was bedeutet, dass die Löhne im Inland sinken und im Ausland steigen. Somit kann in einem Land wie Deutschland günstiger produziert werden und es können aufgrund der steigenden Löhne im Emigrationsland, sowie der starken Exportwirtschaft, mehr Güter exportiert werden. Für Staat und Kapital ergibt dies also eine „Win-Win-Situation“.

Obwohl jede_r von diesen systemischen Zwängen erfasst wird und darunter leidet, angefangen bei hungerleidenden Menschen, bis hin zum Selbstmord des Milliardärs Adolf Merkle, der den auf sich lastenden Druck nicht mehr aushalten konnte, schafft der Staat es immer wieder, soziale Spaltungen salonfähig zu machen und jegliche Widerstände gewaltförmig oder kompromisshaft zu regulieren, sodass die gesellschaftlich politische Ordnung gewährleistet bleibt. Genutzt werden hierbei bürgerliche Vorstellungen, wie die der Verkörperung des Staats als „Gemeinwohl“, die dann in Formen von Nationalismus und Rassismus gipfeln können und es auch tun. Dies zeigte die Weltwirtschaftskrise Ende der „goldenen Zwanziger“ im vergangenen Jahrhundert, die unter anderem eine Ursache für die Möglichkeit eines Nazi-Deutschlands war.

Wie soll diese Situation geändert werden?

Dieser Zustand ist untragbar. Deshalb wollen wir eine reale Möglichkeit zum Diskurs stellen, die dem Ideal folgt, den Menschen in der heutigen hochindustrialisierten, wie technisierten Welt, ein Leben zu ermöglichen, das als Hauptmerkmal nicht mehr die entfremdete und entmenschlichte Arbeit besitzt und auch nicht mehr den materiellen Existenzkampf zum Lebensmittelpunkt macht. Ein Leben, welches gelebt wird, um des Lebens Willen und welches jedem Individuum so gut wie möglich die Chance der Selbstverwirklichung bietet.

Sicherlich kommen auch diese Verhältnisse erst einmal der Forderung eines „Lebens ohne Arbeit“, nicht vollständig nach.

Anstatt den kapitalistischen Handlungsmaximen, wie beispielsweise Gewinnmaximierung, Wirtschaftswachstum und Monopolisierung nachzugehen, sollte das oberste Ziel die globale Armuts- und Elendsbekämpfung sein. Um diesen Diskurs tatsächlich möglich zu machen, heißt es nun, das Konglomerat von Staat, Nation und Kapital zu dekonstruieren und die dadurch hervorgerufenen Zwänge, wie die nationale oder individuelle Konkurrenz abzuschaffen und damit das durch die allgemeine Wettbewerbs-Rhetorik geförderte hegemoniale Einverständnis dieser Konventionen zu brechen.